Arbeitsschwerpunkte
Übersicht
Spektrum sozialgeographischer Forschung
Sozialgeographie wendet sich analytisch den räumlichen Konsequenzen der Tätigkeit menschlicher Akteure zu. In einer Welt der Umbrüche, in der die alten Orientierungskoordinaten ihre Gültigkeit verloren haben, unterliegen die Muster und Prinzipien der Raumorganisation einem permanenten Wandel. Dies gilt allgemein für moderne Gesellschaften im Rahmen von Globalisierungsprozessen und insbesondere für die ostdeutsche Situation seit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft. Räumliche Entwicklungen laufen hier - im deutlichen Unterschied zu Westdeutschland - in beschleunigter Weise gleichsam im Zeitraffertempo ab. Die Sozialgeographie in Halle wendet sich vornehmlich den raumwirksamen Prozessen und ihren Akteuren vor Ort zu, wobei drei Arbeitsschwerpunkte das gegenwärtige Forschungsinteresse fokussieren:
- Muster und Prinzipien des demographischen und sozialräumlichen Wandels (Wanderungen, Alterung, Schrumpfung der Bevölkerung)
- Stadtentwicklung in Ostdeutschland
- nachhaltige urbane und regionale Managementkonzepte.
Muster und Prinzipien des demographischen und sozialräumlichen Wandels
Im Rahmen der langjährigen und intensiven Beschäftigung der Fachgruppe Sozialgeographie mit Fragen des demographischen Wandels (Wanderungen, Alterung, Schrumpfung, Singularisierung der Bevölkerung) stehen neben internationalen und nationalen Perspektiven ganz wesentlich Veränderungen im Bundesland Sachsen-Anhalt und die daraus resultierenden räumlichen, sozialen und ökonomischen Konsequenzen im Vordergrund des Interesses. In einer Vielzahl von Forschungsprojekten wurde bislang regionsspezifisches Wissen generiert, das regelmäßig in Form von Publikationen, Vorträgen und in der universitären Lehre weitergegeben wird. Darüber hinaus besteht eine intensive wissenschaftliche Vernetzung mit nationalen und internationalen Akteuren mit der Möglichkeit, demographische Veränderungen in einer vergleichenden Perspektive zu reflektieren.
Der Arbeitsschwerpunkt Geographische Alternsforschung befasst sich mit den räumlichen Aspekten des Alterns sowie der Beziehung älterer Menschen zu ihrer Umwelt. Im Rahmen dieses Schwerpunkts steht ein Projekt, das speziell das Reiseverhalten ostdeutscher Senioren im Hinblick auf Kontinuität und Wandel seit der Wiedervereinigung analysiert.
Stadtentwicklung in Ostdeutschland
Der Schwerpunkt Ostdeutsche Stadtentwicklung beschäftigt sich inhaltlich unter der Überschrift "Transformationsforschung" mit den Entwicklungen seit 1990 und den Auswirkungen auf den urbanen Raum. Ausgangspunkt sind die gravierenden Veränderungen auf kommunaler Ebene, die in den und um die ostdeutschen Städte zu beobachten sind. Dabei rücken die Innenstadt, der gründerzeitliche Baubestand, die Großwohngebiete sowie der suburbane Raum in das konkrete Forschungsinteresse.
Die Ergebnisse eines kontinuierlichen Innenstadtmonitorings in Halle zeigen, dass sich hinsichtlich der Ausstattung und der Attraktivität der Altstadt vielfach Verbesserungen ergeben haben, die auch von den Nutzern der City positiv wahrgenommen werden. Bemühungen zur Aufwertung des Stadtzentrums als Einzelhandelsstandort sollten sich in Zukunft verstärkt auf die qualitative Dimension des Angebots konzentrieren, um sich deutlicher von den peripheren Einzelhandelsstandorten "auf der grünen Wiese" abzuheben und auf diese Weise vor allem das auswärtige Kundenpotential besser auszuschöpfen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Engagement zur Revitalisierung der Innenstadt jedoch nicht einseitig auf die Einzelhandelssituation ausgerichtet sein sollte. Von den Nutzern und zunehmend auch von Experten wird eine weitere Verbesserung der Aufenthalts- und Erlebnisqualität als notwendig erachtet (Abb. 1: Stärken und Schwächen der Innenstadt aus Sicht der Passanten).
Zu den zentralen Standortfaktoren der Saalestadt gehört zweifellos die Martin-Luther-Universität. Im Rahmen einer Studie ihrer regionalökonomischen Wirkung zeigte sich, dass die universitäre Nachfrage den Umsatz der regionalen Wirtschaftsbetriebe nachhaltig beeinflusst und auf diese Weise Einkommen und Beschäftigung wirksam sichert und erhöht. Insgesamt konnte ermittelt werden, dass aufgrund der Nachfrage der Universität und ihrer Angehörigen (Personal und Studierende) nach Gütern und Dienstleistungen über direkte und indirekte Wirkungsketten insgesamt mehr als 7000 regionale Arbeitsplätze finanziert werden. Bezüglich des Wissenstransfers wird deutlich, dass das Humankapital der Universität nur unzureichend durch die regionalen technologieintensiven Unternehmen genutzt wird und eine starke Abwanderungstendenz bei den Studierenden einen Humankapitalabfluss nach sich zieht, der sich langfristig negativ auf die Qualität des regionalen Arbeitsmarktes auswirken kann (Abb. 2: Herkunft und Wohnpräferenz der Hallenser Studierenden).
Von den gut 14.000 Studenten der Universität lebt ein zunehmender Anteil in den gründerzeitlichen Wohnquartieren der Stadt. Dies führt zur zunehmenden baulichen und sozialen Aufwertung dieser innenstadtnahen Viertel, die wir unter dem Prozess der Gentrifizierung untersucht haben.
Die Großwohngebiete wie Halle-Neustadt rücken aufgrund starker Abwanderungen und Wohnungsleerstände zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Unsere Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese großen Plattenbaugebiete keineswegs in sich homogen sind. Am Beispiel der Leerstände war erkennbar, dass in Hochhäusern doppelt so viele Wohnungen unbewohnt waren wie in den niedrigeren Fünf- und Sechsgeschossern. Die aktuellen Rückbaukonzepte zum Stadtumbau Ost spiegeln die Tendenzen der räumlichen Differenzierung wider. Auch in Bezug auf das soziale Gefüge der Großwohngebieten hat die selektive Abwanderung bisher nicht zur erwarteten Segregation geführt. Aufgrund der anhaltenden Prozessdynamik ist jedoch eine weitere Aussiebung wahrscheinlich (Abb. 3: Blick auf Halle-Neustadt aus Richtung Halle entlang der Magistrale – Hauptverbindung zwischen dem Großwohngebiet und der Altstadt, Foto: Mitteldeutsche Zeitung).
Nachhaltige urbane und regionale Managementkonzepte
Die nachhaltige Entwicklung ostdeutscher Städte und Regionen ist durch die massiven Abwanderungsverluste aus den urbanen Zentren gefährdet. Suburbanisierung und Siedlungsdispersion in den Stadt-Umland-Regionen sind ein zentraler Bestandteil sozialgeographischer Forschungen in Halle. Ziel ist es dabei, einerseits die Kernstädte zu stärken, andererseits aber auch die Wohnsuburbanisierung qualitativ so zu gestalten, dass die Bildung überschaubarer Nachbarschaften unterstützt und damit Identitäten geschaffen werden.
Unter methodologischen und konzeptionellen Gesichtspunkten stand ein Projekt zur Erarbeitung von Leitbildern und Qualitätszielen für ausgewählte stadtstrukturelle Teilräume der Stadt Halle/Saale im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung. Im Rahmen einer Mobilitätsstudie wurden die Chancen für eine Begrenzung der Motorisierung durch die Autoabschaffung untersucht. In diesem Zusammenhang konnten fünf verschiedene Gruppen von "Autonutzer-Mobilitätsstilen" ermittelt werden, von denen sich nur eine dieser Lebensstilgruppen vom Auto distanziert.
Ein weiteres aktuelles Forschungsthema der Sozialgeographie beschäftigt sich mit den Entwicklungsoptionen für natur- und landschaftsbestimmte Freiräume. Umfangreiche Veränderungen der Flächennutzung im suburbanen Raum eröffnen die Notwendigkeit zur intensiven Auseinandersetzung mit den neu entstandenen Kulturlandschaften.